
Stress kann tatsächlich eine Art Sucht werden. Die Ursachen sind mit der Funktionsweise unseres Gehirns und unserer Lebensweise verbunden.
Hier sind die wichtigsten Gründe, warum wir uns immer wieder in stressigen Situationen wiederfinden – sogar oft aktiv danach suchen (entspannen auf dem Sofa geht einfach nicht):
1. Stresshormone als Energie-Kick
In Stresssituationen schüttet unser Körper Hormone wie Adrenalin und Cortisol aus, die uns wach, aufmerksam und leistungsfähig machen. Diese "Stresshormone" können sogar süchtig machen, weil sie uns das Gefühl geben, "on fire" zu sein.
Die kurzfristige Energie und das „Hoch“, das wir durch den Adrenalinrausch verspüren, können wie eine Art Kick wirken ("Ich leiste am Besten, wenn ich unter Druck bin!" impliziert Druck ist toll für mich)
2. Der Zusammenhang mit Erfolg und Leistung
In unserer leistungsorientierten Gesellschaft werden Stress und überdurchschnittlich viel Arbeit oft mit Erfolg, Produktivität und Stärke assoziiert/ bewertet. Wenn wir gestresst sind und viel leisten, fühlen wir uns daher wertvoll und dazugehörig (es machen ja alle so).
Viele Menschen verbinden es auch mit der eigenen Wichtigkeit (sozialen Status), wenn der Kalender proppevoll ist. Diese Anerkennung im Außen zusammen mit dem Gefühl im Inneren, gebraucht zu werden, können das Stressmuster weiter verstärken.
3. Das Gehirn gewöhnt sich an Stress! Das hat Auswirkungen:
Wenn wir dauernd gestresst sind, gewöhnt sich unser Gehirn an diesen Zustand und verändert sich! Über die Zeit gewöhnen wir uns an das Niveau von Cortisol und Adrenalin, so dass wir unruhig werden, wenn wir uns entspannen wollen oder uns in ruhigen Phasen fast „langweilen“ bzw. unterfordert fühlen.
Unser Gehirn registriert Ruhe nicht mehr als angenehm, sondern sehnt sich nach dem gewohnten Stresslevel und so produzieren wir uns (unbewusst) neue Situationen, durch die wir durchhetzen können.
4. Ablenkung von emotionalen Themen
Stress lenkt uns außerdem oft von tiefliegenden unangenehmen Gefühlen wie Angst, Trauer oder Einsamkeit ab. Wenn wir beschäftigt und gestresst sind, vermeiden wir, uns ja nicht mit diesen Emotionen auseinandersetzen zu müssen.
Manche Menschen nutzen Stress unbewusst, um nicht innehalten und sich mit unangenehmen Gedanken oder Gefühlen auseinandersetzen zu müssen. So wird Stress eine Form der Flucht!
5. Stress als Dopamin-Verstärker
In der ersten Stressreaktion schüttet das Gehirn auch Dopamin aus – ein Neurotransmitter, der mit Belohnung und Motivation verbunden ist. Dopamin lässt uns kurzfristig gut fühlen, weil wir das Gefühl haben, ein Ziel zu verfolgen oder etwas Wichtiges zu tun. Es gibt uns das Gefühl von Kontrolle.
Dieses Belohnungssystem in unserem Gehirn funktioniert ähnlich wie bei anderen Süchten, bei denen wir immer wieder nach der Dopamin-Dosis streben. Der Antrieb, „weiterzumachen“ und das nächste Ziel zu erreichen, hält uns in einer Art Stresszyklus.
Aufgabe erreicht. Nächste. Aufgabe erreicht. Nächste. Usw.
6. Gewohnheit und Musterbildung
Stressverhalten kann zur Gewohnheit werden, vor allem, wenn es über Jahre hinweg Alltag ist. Wenn wir uns lange genug gestresst haben, wird es Teil unserer Routine und erscheint uns normal.
Durch solche Muster gewöhnt sich auch das Nervensystem daran, ständig im „Kampf- oder Fluchtmodus“ zu sein, was langfristig schwer zu durchbrechen ist und die Stresssucht weiter fördert.
7. "Busy-ness" im Umfeld
Da sich die meisten mit dem vollen Terminkalender rühmen, spielt der soziale Vergleich ebenfalls eine Rolle: Wenn wir sehen, dass andere ständig „busy“ sind, fühlen wir uns unter Druck gesetzt, nicht „faul“ wirken.
8. Vermeintliche Kontrolle und Struktur
Stress gibt uns oft das Gefühl, Kontrolle zu haben, besonders wenn es darum geht, Aufgaben zu erledigen oder Ziele zu erreichen. Wir haben das Gefühl, die Dinge aktiv in die Hand zu nehmen, selbst wenn es überfordernd ist.
Dieses Gefühl von Kontrolle kann uns das Bedürfnis geben, ständig beschäftigt zu sein – selbst, wenn wir uns damit selbst unter Druck setzen. Wir erschaffen uns selbst gegenüber so den Schein, alles im Griff zu haben.
9. Stress als Normalität
In unserer Leistungskultur wird Stress oft als Norm betrachtet. Menschen, die sich keine Zeit für Pausen nehmen oder sich ständig „pushen“ und Unmenschliches erreichen, werden bewundert. Das fördert eine kollektiv verankerte „Stress-Norm“, die uns vermittelt, dass Stress normal und sogar erstrebenswert ist.
Besonders in Arbeitsumfeldern, wo „Hustle Culture“ und der Antrieb, stets über die eigenen Grenzen hinaus zu gehen, vorgelebt wird, wird Stress fast zur Grundbedingung des Daseins.
Diesen Zyklus zu durchbrechen, erfordert jede Menge Willen, Geduld und Disziplin im Erlernen neuer Gewohnheiten. Darum ist eine professionelle Begleitung von absoluter Bedeutung.
Liebe Grüße,
Peggy